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Erste Hilfe
Mathematik
Eine kleine Geschichte aus der Grundschule
Als ich einmal vor vielen Jahren bei einem Unterrichtsbesuch den Kindern einer ersten Klasse schon nach vielleicht 8-10 Schulwochen eine für sie scheinbar noch viel zu schwere Aufgabe stellte war es erstaunlich wie viele Kinder nach einiger Zeit des Überlegens das richtige Ergebnis nennen konnten: 15 (!) von 23 Kindern konnten das, obwohl in der Schule zu dieser Zeit eine Plusaufgabe, die über den ersten Zehmer hinaus geht, noch gar nicht Thema war.
Die Aufgabe:
Wie viel ist denn 8 + 7 ?
Viel wichtiger als die Ergebnisse waren aber der Weg der Kinder, wie sie zu den richtigen Lösungen kamen. Einige Kinder wussten das Ergebnis quasi auswendig, die Mehrheit Kinder schafften es durch Hochzählen (sogar ohne einen der typischen Zählfehler zu machen) und drei Kinder waren schon etwas mathematischer "unterwegs". Sie konnten es durch "erst Ergänzen auf 10, dann den Rest noch dazu" oder durch Verdoppeln der 8 und dann eins weg nehmen lösen. Sie mussten kaum mehr zählen, sondern konnten schon Zahlen in Teile davon zerlegen und auch wieder passend zusammensetzen. Sie konnten also bereits mit einer Rechenaufgabe "mathematischer" umgehen
Eines der Kinder hatte zwar "nicht ganz" das richtige Ergebnis, dafür aber seinen eigenen Erklärungssatz: "Das ist doch ganz leicht! Das Doppelte von 7 ist 14, das weiß ich, und eins Unterschied macht 13. Also 13 kommt raus." Zwar nicht ganz das exakte Ergebnis einer "kleinen" Additionsaufgabe, aber mehr als dieses Kind kann man nach nicht mal einem halben Jahr in der Schule gar nicht verstanden haben von der Welt der Zahlen. Er hat das aber sicher schon komplett in die Schule mitgebracht. So ganz nebenbei: Wer nur auf Ergebnisse schaut beim Rechnen der Kinder hat immer weniger den Blick für das Wesentliche dabei bzw. dafür, wie ein Kind zu Ergebnissen kommt.
Eigentlich fängt ja mit Zählen meist alles an .....
Natürlich fängt mit Zählen alles an. Es gibt aber auch viele Erwachsene, die nie wirklich über ein Abzählen hinaus gekommen sind. Sie haben, wenn sie die Schule verlassen, keine wesentlich andere Vorstellung von der "Welt der Zahlen" als die, mit der sie schon in die Schule gekommen sind. Sie sind bei ihrer ersten Vorstellung von Zahlen als Zählreihe stehen geblieben, haben sich Einiges an Aufgaben und dazugehörigen Ergebnissen einfach gemerkt und können damit kleinere Rechenaufgaben immer wieder auch richtig lösen. Sogar in sogenannten Rechentests (bei denen Arbeitszeit kein so wesentlicher Faktor ist) fallen sie oft nicht einmal als "Risikokinder" auf, weil sie zählend auch richtige Rechenergebnisse produzieren können, obwohl sie kaum die notwendigen Grundvorstellungen, ohne die es auf Dauer nicht geht, ausgebildet haben.
Das Entscheidende ist nun mal der Aufbau wichtiger Grundvorstellungen, ohne die es keinen wirklichen Zugang zum Rechnen und zur Mathematik und auch keinen wirklichen Fortschritt geben kann.
Abzählen führt erst einmal zu richtigen Lösungen, ist aber auf Dauer einfach keine Lösungshilfe, sondern wird immer mehr zum eigentlichen Problem?
Das Problem ist nicht, dass Kinder am Anfang der Grundschule zählen, sondern dass sie davon oft nicht mehr los kommen und beim Immer-wieder-von-vorne-Abzählen einfach stehen bleiben. Was für den Kindergarten oder auch die erste Zeit in der Grundschule völlig okay war wird irgendwann zum zentralen Problem, denn wer auf Dauer nur abzählt, rechnet nicht, auch wenn er damit immer wieder zu richtigen Ergebnissen kommt.
Zählen ist vielleicht vergleichbar mit dem Krabbeln beim Laufen lernen. Man kommt mit Krabbeln auch ans Ziel, aber es strengt viel mehr an als laufen, dauert länger und ist für größere Strecken gänzlich ungeeignet. Eigentlich fangen alle Kinder irgendwann das Laufen an, weil Krabbeln auf Dauer nicht mehr ihren Ansprüchen an Bewegung genügt.
Beim Rechnen passiert Vergleichbares: Wer rechnerisch "auf die Beine kommt" bewegt sich immer sicherer und flotter. Ein Kind, das das nicht schafft, bleibt von Beginn an immer mehr stehen. Und wenn ein Kind das Zählen immer mehr durch andere "Strategien" ablöst bekommt es dadurch ein immer tieferes Verständnis für Zahlen, Zahlbeziehungen und Zusammenhänge. Dadurch und durch anschauliche und kindgerechte Lernprozesse wird es immer leichter für die Kinder, sich Rechenoperationen im Kopf vorzustellen und irgendwann kein Material mehr zu brauchen, um Vorstellungen aufzubauen. Der wichtigste Satz im mathematischen Lernen ist nämlich
"Stell dir vor!".
Dieses mentale Vorstellen-im-Kopf kann aber nur über strukturiertes Anschauungsmaterial und richtigen Umgang damit für die Kinder ermöglicht und aufgebaut werden. Und das geht bei allen Kindern sehr unterschiedlich vonstatten. Manche lernen diesen Aufbau von notwendigen Grundvorstellungen scheinbar so nebenbei, andere brauchen mehr Zeit und für manche reicht auch diese Zeit einfach nicht aus und sie bleiben beim Zählen auf Dauer stehen.